Die Herausforderungen für Ex-Unternehmer: Sich selbst finden

Zum Tag der Unternehmensnachfolge am 21. Juni

Für Unternehmer gilt in verschärfter Form, was für viele Führungskräfte der Wirtschaft, Spitzenpolitiker und Top-Sportler bekannt ist: Die Schwierigkeit, sich nach der Karriere oder dem Amt, hier der Firmenübergabe, (neu) zu finden. Der Abschied aus den gewohnten Routinen, der Verlust an Alltagsstruktur, die fehlenden Erfolgserlebnisse und die ausbleibende Anerkennung für die eigenen Leistungen, vor allem aber die Orientierungslosigkeit bei der Suche nach dem Sinn des Lebens, ist für alle Erfolgsverwöhnten gleich. Unternehmer aber sind in besonderer Weise betroffen. Zum Tag der Unternehmensnachfolge am 21. Juni lohnt sich deshalb ein genauerer Blick auf die Herausforderungen für scheidende Unternehmer.

Was es diesen besonders schwer macht, loszulassen, ist der ungleich größere Freiheits- und Entscheidungsraum, den Unternehmer im Vergleich zu angestellten Managern oder politischen Amtsträgern haben. Das Fehlen dieser Handlungsmöglichkeiten nach der Unternehmensübergabe wird als persönlicher Verlust erlebt. Auch ist die Identifikation mit dem eigenen Unternehmen ungleich höher als bei angestellten Managern, die Verweildauer in der Funktion länger und sind die Beziehungen zu den Mitarbeitern persönlicher. Bei Familienunternehmern kommt die familiäre Tradition und oft die Namensidentität hinzu; das Unternehmen trägt den eigenen Namen. Das alles führt zu der Einstellung, das Unternehmen sei Teil der eigenen Persönlichkeit, „mein eigen Fleisch und Blut“. Insofern empfinden manche Unternehmer die Übergabe des Unternehmens an andere, seien es Familienangehörige, seien es Dritte, wie die Amputation von Gliedmaßen.

Meine Coachingerfahrungen zeigen: mit der Zeit verschmelzen die Funktion als Unternehmenschef und die Person des Unternehmers miteinander. So wird die Übergabe der Firma an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin zum Verlust der eigenen Identität. Das ist besonders schmerzhaft, wenn eine neue noch nicht gefunden ist.

Für die Vorbereitung und Abwicklung einer Unternehmensnachfolge ist es deshalb von enormer Bedeutung, sich als abgebender Unternehmer frühzeitig, in jedem Fall vor dem Beginn von Übergabeverhandlungen, mit sich selbst und dem „Leben danach“ zu beschäftigen. Bei Familienunternehmen, die an die eigenen Erben übertragen werden sollen, empfiehlt es sich, die Reflexionen mit den Kindern zu teilen. „Wer keinen neuen Lebensinhalt hat, kann nicht abgeben“, schreibt dazu Lioba Heinzler, Leiterin des Arbeitskreises Nachfolge beim Bund Katholischer Unternehmer (BKU) treffend. Es erschwert die Übergabeverhandlungen enorm, und lässt sie nicht selten scheitern, wenn der abgebende Unternehmer mit sich nicht im Reinen ist. Hinzu kommt: Die Übergabe eines Unternehmens an die eigenen Kinder kann nur funktionieren, und beide Seiten zufriedenstellen, wenn eine klare Funktions- und Rollenverteilung gefunden und umgesetzt wird. Dabei gilt es auch, kommende Versuchungen zu antizipieren.  Oft zum Beispiel probieren ehemalige Geschäftspartner, die mit ihren Wünschen bei der neuen Unternehmensleitung nicht durchdringen, den Umweg über den ehemaligen Chef, häufig mit Verweis auf die langjährig guten und vertrauten Geschäftsbeziehungen. Ähnliche Anfragen gibt es in Managementstrukturen von Konzernen in der Regel nicht. Auch sind die ehemaligen Manager, die eine neue Aufgabe übernommen haben, gegen solche Versuchungen immun, weil es Teil des (betrieblichen) Ehrenkodex ist, sich nicht in die Belange des Nachfolgers einzumischen. Ehemalige Firmeninhaber aber fühlen sich oft geschmeichelt, geben der Versuchung nach und erzeugen innerfamiläre Konflikte, oft zum Schaden des Unternehmens.

Deshalb sehe ich die oft praktizierte Übung, dem Senior einen Beratervertrag anzubieten, kritisch. So konfliktvermeidend dieses Modell am Anfang erscheint, so konfliktfördernd ist es langfristig. Es erzeugt bei den Ausgeschiedenen Frust, wenn ihre Vorschläge, oft gut gemeint und fundiert, von den Nachfolgern nicht umgesetzt werden. Bei diesen kommt es dagegen zu Loyalitätskonflikten, da sie sich emotional dem Senior verpflichtet fühlen, aber möglicherweise andere strategische Ziele verfolgen und andere konzeptionelle Konzepte haben. Auch erschwert eine solche Einbindung dem Senior das Loslassen.

Weniger konfliktreich, aber auch nicht konfliktfrei, ist der Wechsel des Ausscheidenden in einen Aufsichts- oder Beirat. Das kann funktionieren und für beide Seiten fruchtbar sein, aber nur, wenn klar geregelt und schriftlich fixiert ist, dass ein Eingreifen in die operative Unternehmensführung ausgeschlossen ist. Auch diese Lösung aber macht es aber dem Senior schwieriger, sich neu zu finden.

Oft ist die radikalste Lösung die beste, nämlich die komplette Übergabe es Unternehmens und der Rückzug aus allen Organen und Gremien. Das Behalten von Gesellschaftsanteilen wird damit natürlich nicht ausgeschlossen.

Ein vollständiges Ausscheiden geht aber nur, wenn der Unternehmer für sich selbst die Frage beantworten kann: “Wer bin ich, wenn ich nicht mehr bin, was ich war?“, also Unternehmer.  Die Antwort auf diese Frage setzt einen intensiven und langwierigen Prozess der Selbstreflexion voraus, mit oder ohne professionelle Unterstützung, wie sie im Übergabeprozess zu anderen Fragen ohnehin üblich ist. Hilfreich für den abgebenden Unternehmer ist es, sich seiner eigenen Talente, Fähigkeiten sowie der eigenen Interessen und Werte zu vergewissern. Welche davon wurden im Berufsleben ausgelebt und waren Teil der beruflichen Identität und des Erfolgs? Und welche persönlichen Anteile wurden gar nicht gebraucht und sind deshalb über die Jahre verkümmert. Das können musische, kreative, handwerkliche, soziale, künstlerische, spirituelle, intellektuelle Talente sein oder Interessen, die man in der Jugend hatte, denen man aus Zeitmangel aber im Berufsleben nicht nachgehen konnte. Aus diesen Analysen und Selbstbetrachtungen lässt sich, wenn es gut läuft, eine neue Lebensgestaltung ableiten und schrittweise eine neue Identität aufbauen, ohne die alte zu verleugnen.

Diese Reflexionen sind wichtig, aber alles andere als einfach. Als ehemaliger Unternehmer, der seine Firma erfolgreich verkauft hat, dessen Anschlusspläne aber durch die Coronapandemie Anfang 2020 komplett zerstört wurden, weiß ich, wie schwer der Prozess der Neuorientierung und Selbstfindung ist. Dieser wird zusätzlich dadurch erschwert, dass mit der Übergabe an einen Nachfolger viele der gewohnten „Egoschmeichler“ wegfallen. Dazu zählen VIP-Einladungen, Platzierungen in der ersten Reihe, namentliche Begrüßung bei Veranstaltungen, Medienberichte, Interviews, Delegationseinladungen etc. Wie oft im Leben merkt man erst, wie sehr man sich an etwas gewöhnt hatte, wenn es weg ist. Es erfordert persönliche Stärke, das zu akzeptieren.

Patricia Riekel, die ehemalige Chefredakteurin der Bunten, reflektiert in ihrem bei Heyne erschienenen Buch „Wer bin ich, wenn ich nichts mehr bin?“ wie sie es erlebt hat, beim Bayerischen Fernsehpreis im Prinzregententheater, einem der großen gesellschaftlichen Ereignisse in München, in Reihe acht platziert zu werden. Für sie, die als Chefredakteurin immer in Reihe eins saß, fühlte sich dies wie eine Degradierung an. „In aller Öffentlichkeit wurde so dokumentiert, wie unwichtig ich geworden war“. Weiter schreibt sie „Das Leben in Reihe eins ist angenehm, man befindet sich im Zentrum der Aufmerksamkeit, gehört zu den Wichtigen und Mächtigen, zu denen, die es ‚geschafft‘ haben.“

Ein weiteres Problem, das auf Ex-Unternehmer zukommt, ist die langsame Vereinsamung. Waren sie es in der aktiven Zeit gewohnt, vielfältigste Kontakte zu haben und Teil verschiedener Netzwerke zu sein, fällt vieles davon, wenn nicht alles, mit dem Ausscheiden aus der Funktion weg. Karl Theodor zu Guttenberg porträtiert in „3 Sekunden, Notizen aus der Gegenwart“ (Herder) einen ehemaligen Unternehmer, den er als „begnadeten Netzwerker “ beschreibt. „Seine Büroräume waren eine Drehtüre für selbst ernannt und tatsächlich Bedeutungsvolle“. Bei einem Besuch, bei dem zu Guttenberg eine früher unbekannte Ruhe wahrnimmt, antwortete der Unternehmer auf die Frage „Warum gehst Du überhaupt noch ins Büro?“ nach langem Schweigen schließlich: „Weil ich sonst so gotterbärmlich einsam bin. Ich ertrage es nicht, allein zu Hause zu sitzen“. Und dann folgt der erschütternde Satz: „Ich habe alles erreicht und alles versäumt“.

Viele Unternehmer, auch das zeigen meine Erfahrungen, vernachlässigen über die vielfältigen beruflichen Kontakte das Pflegen privater Freundschaften. Oder - schlimmer noch - sie halten die geschäftlichen Beziehungen für solche. Fallen dann die beruflichen Bezüge weg, schlafen mit der Zeit auch die Kontakte ein, weil sie eben Funktionskontakte waren und keine persönlichen. Insofern gehört zum Prozess der Nachfolgeplanung auch, und zwar viele Jahre zuvor, der Aufbau, die Aktivierung oder Reaktivierung eines persönlichen Netzwerkes, das nicht von der unternehmerischen Aktivität abhängt.

Der „Tag der Unternehmensnachfolge“ kann in besonderer Weise sinnstiftend wirken, wenn er Unternehmer im Prozess der Nachfolgeplanung, besser noch davor, dafür sensibilisiert, sich mit sich selbst zu beschäftigen und sich auf „das Leben danach“ vorzubereiten, zum Nutzen für das Unternehmen, vor allen Dingen aber als Gewinn für sich selbst